Aussenminister Ignazio Cassis hatte sich am Dienstag gegenüber dem Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS) dagegen ausgesprochen, Israel einseitig für die humanitäre Not im Gazastreifen verantwortlich zu machen. Er verurteilte sowohl die Handlungen des israelischen Staates als auch die der Hamas und betonte, dass «auf beiden Seiten» das Völkerrecht verletzt werde.
Die Reaktionen auf Cassis' Äusserungen im Beitrag von RTS:
Diese Haltung des Aussenministers verärgert den Genfer Mitte-Nationalrat Vincent Maitre. «Ich finde es ziemlich gewagt, etwa 40'000 tote Palästinenser und 50 israelische Geiseln auf eine Stufe zu stellen», sagte Maitre gegenüber RTS.
«Ohne eine Abstufung des Grauens vorzunehmen, denn beides geht über unsere Vorstellungskraft hinaus, finde ich es sehr schwierig, Unvergleichbares zu vergleichen, nämlich die Taten einer terroristischen Organisation und die militärischen Aktionen eines demokratischen Staates.»
Aufrufe zum Handeln
Léonore Porchet, Waadtländer Nationalrätin der Grünen, geht noch weiter: «Ich bin empört. Was gesagt wurde, war nicht weit von der offiziellen Propaganda des israelischen Staates entfernt, die den laufenden Völkermord leugnet. Der Schweizer Staat muss es besser machen.»
Der Tessiner SVP-Nationalrat Piero Marchesi ist kürzlich aus der parlamentarischen Gruppe Schweiz-Israel ausgetreten, weil er sie als zu parteiisch empfand. Auch er findet, der Bundesrat müsste mehr tun. «Wir müssen uns darauf konzentrieren, der Bevölkerung in Gaza Zugang zu humanitärer Hilfe zu ermöglichen», sagte Marchesi. «Ich erwarte vom Bundesrat, dass er Druck auf Israel ausübt, damit dies geschieht.»
Diskutieren Sie mit:
Der Genfer SP-Ständerat Carlo Sommaruga ist der Meinung, dass Cassis nicht faktenbasierte Aussagen gemacht hat: «Bewusst oder unbewusst liefert Ignazio Cassis Informationen einer alternativen Wahrheit, die nur Israel hilft, statt dass er das Völkerrecht verteidigt und sich mit der internationalen Gemeinschaft für die Verteidigung des Völkerrechts und die Gerechtigkeit für das palästinensische Volk einsetzt.»
Die Realität vor Ort
Cassis vertrat unter anderem die Ansicht, dass man nicht wissen könne, wer für die Schüsse verantwortlich sei, die am Dienstag bei einer Lebensmittelverteilung im Süden des Gazastreifens 27 Todesopfer forderten, obwohl die israelische Armee selbst zugegeben hatte, auf «Verdächtige» geschossen zu haben. «Vergessen wir nicht, dass jeder Krieg auch ein Informationskrieg ist», sagte Cassis.
Philippe Lazzarini, Chef des Uno-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA), widerspricht dieser Darstellung: «Dieses Verteilungssystem ist eine Falle, die Todesopfer fordert. Die Menschen wissen nicht, ob sie lebend zurückkehren werden.» Und er fordert, Israel solle der internationalen Presse die Erlaubnis erteilen, nach Gaza zu reisen. «Wir haben es mit einem Krieg der Narrative zu tun», so Lazzarini, «und er wird sich verstärken, solange Journalisten nicht vor Ort sein können.»
Unterstützung erhält Cassis dagegen aus seiner eigenen Partei. Der Walliser FDP-Nationalrat Philippe Nantermod ist der Meinung, dass es ein Fehler gewesen wäre, nur Israels Vorgehen zu verurteilen.